Die Leidenschaft ist noch da
Herbert Wolff ist 90 Jahre alt und einer der Besten im Doppelkopfverein
Er entscheidet sich für ein Solo: „Vorbehalt“ kündigt er an. Die Mitspieler antworten allesamt und der Reihe nach: „weg“. Jetzt kann Herbert Wolff loslegen mit seinem Bubensolo. Wolff und seine Mitspieler sitzen im Hinterzimmer des Bieberer Bowlingzentrums und spielen Doppelkopf, die seltene Kölsch-Variante. Nur zwei der abgenutzten Holztische sind jetzt, am Nachmittag besetzt. Es ist erst die Vorrunde. „Die anderen kommen so um Sieben“, ruft Erich Liebing, der Vorsitzende des 1.Offenbacher Doppelkopfvereins vom anderen Tisch herüber. Wenn die anderen da sind, dann werden sie nach den offiziellen Verbandsregeln weiterspielen – wie an jedem Mittwoch. Herbert Wolff ist bei beiden Runden mit von der Partie. Selbstverständlich, als Pensionär hat er ja Zeit. Nur: Eigentlich ist es nicht selbstverständlich. Herbert Wolff ist schon seit drei Jahrzehnten pensioniert. Der Mann ist 90 Jahre alt und immer noch einer der besten Doppelkopfspieler in seinem Verein. „Ich bin immer ziemlich vorne dabei, sagt er, aber das ist für mich uninteressant.“ Der alte Mann inspiziert sein Blatt, fein säuberlich steht es vor ihm, aufgereiht auf einem Kartenhalter aus Holz. Er kann nicht die Karten in der Hand sortieren. Im Krieg hat er den rechten Unterarm verloren, die unauffällige Prothese steckt in einem schwarzen Lederhandschuh. „Ich habe schon eine ganze Reihe Kartenhalter gehabt“, erzählt er, „aber der hier ist mir der liebste, den hat mein Vater nach meiner Verwundung für mich gemacht.“ Die Behinderung stört ihn beim Spielen nicht, alle Abläufe sind eingeschliffen. Das Alter aber hat manche neue Einschränkung mit sich gebracht. Der freundliche Mann mit dem immer noch jungenhaften Gesicht versucht gar nicht, das zu verheimlichen. Im November hatte er eine Operation am Auge, das Turnier zum 30 jährigen Bestehen seines 1.Offenbacher Doppelkopfvereins hat er verpasst. Er kann jetzt auch nicht mehr mit dem Auto von seiner Seniorenwohnung in Sachsenhausen nach Bieber fahren. Das dürfte aber nicht das Ende seiner Doppelkopf-Karriere sein, hat er entschieden. „Ich bin dann mit der Straßenbahn nach Offenbach gefahren, mit dem Bus bis Bieber und dann noch den Rest zu Fuß mit dem Rollator“, erzählt er und lächelt mild. „Das haben die anderen gesehen, seitdem holt mich jeden Mittwoch jemand ab. Doppelkopf hat Wolff in Offenbach kennengelernt. Ende der vierziger Jahre, nachdem der in Breslau aufgewachsene Eisenbahner in die Hauptverwaltung der Deutschen Bahn versetzt wurde. „Wir haben mit drei Männern in einer kleinen Wohnung in der Waldstraße gewohnt, es gab nicht viel zu tun.“ Also haben sie fast an jedem Abend Karten gespielt. „Das ist es ja, was man heute keinem mehr klar machen kann: früher, ohne Fernseher, mit Schneebergen vor der Tür, da hat man eben Karten gespielt.“ In der Zeitung hat er irgendwann gelesen, dass ein neuer Doppelkopfverein Mitspieler suche. „Da bin ich dann mit meiner Frau zusammen hin.“ Zwischendurch hat er dem Verein auch mal den Rücken gekehrt, aber die Doppelkopf – Leidenschaft hat ihn nicht losgelassen, er trat wieder ein. „Es ist ja tatsächlich so wie bei einem Fussballfan, der es nicht lassen kann, ins Stadion zu gehen.“ Und trotzdem: „Es ist schon sehr anstrengend inzwischen. Aber ich raffe mich jede Woche auf. Wenn ich einen Abend verpasse, dann komme ich gar nicht mehr.“
Quelle: Frankfurter Rundschau